In deutschen Innenstädten verschwinden bekannte Namen: Görtz, Gerry Weber, Wormland und Esprit stehen stellvertretend für eine Branche im Umbruch. Zwischen August 2024 und August 2025 wurden im stationären Handel 2.490 Insolvenzen gezählt, meldet der Kreditversicherer Allianz Trade laut tagesschau.de. Das ist der höchste Stand seit Oktober 2016 und liegt nur knapp unter dem Negativwert von 2.520 Pleiten im Vergleichszeitraum 2015/2016. Für Konsumentinnen und Konsumenten bedeutet dies weniger Auswahl vor Ort, häufigere Filialschließungen sowie eine Verschiebung hin zu Online-Angeboten – mit Folgen für Verfügbarkeit, Beratung und Preisvergleiche.
2.490 Insolvenzen: Modeketten besonders betroffen
Von der aktuellen Welle erfasst wurden unter anderem der Schuhhändler Görtz, der Modeanbieter Gerry Weber und der Herrenausstatter Wormland. Die Modekette Esprit schloss 2025 alle Filialen im Zuge eines Insolvenzverfahrens. Der Dekospezialist Depot sowie der Discounter Kodi reduzierten ihre Ladennetze spürbar. Für Kundinnen und Kunden in Mittel- und Kleinstädten bedeutet das oft längere Wege zu Alternativen oder der erzwungene Wechsel in den Online-Handel. Gleichzeitig verschwinden lokale Rabattaktionen, persönliche Beratung und unkomplizierte Umtauschmöglichkeiten vor Ort – Faktoren, die gerade für preisbewusste Haushalte bisher eine Rolle bei der Einkaufsplanung spielten.
Allianz-Experte Dejean: „Einige Händler hängen am seidenen Faden“
Guillaume Dejean, Branchenexperte bei Allianz Trade, spricht laut zeit.de von tiefgreifenden Geschäftsmodelländerungen, die seit der Pandemie anhalten. „Der Einzelhandel kämpft noch immer mit den tiefgreifenden Veränderungen seines Geschäftsmodells, die während der Pandemie begonnen haben“, so Dejean. Der starke Konkurrenzdruck durch große Online-Marktplätze zwingt Ketten zu Investitionen in digitale Kanäle, datengestütztes Sortimentsmanagement und neue Ladenkonzepte. Kleinere Anbieter haben dafür oft kaum finanzielle Reserven. „Das ist ein Kampf, der teilweise an David gegen Goliath erinnert“, sagt Dejean. Einige Textilhändler hingen bereits „am seidenen Faden“. Für Konsumenten kann dies kurzfristig durch Räumungs- und Abverkaufsaktionen Preisvorteile bringen, mittel- bis langfristig droht jedoch weniger Wettbewerb vor Ort.
Autonome Lager, KI-Empfehlungen und Serviceroboter im Einsatz
Um konkurrenzfähig zu bleiben, setzen große Ketten auf Automatisierung und Künstliche Intelligenz. In Logistikzentren kommen autonome Systeme und robotergestützte Regalscanner zum Einsatz, im Online-Shop personalisierte Produktempfehlungen. Einige Filialisten testen sogar selbstnavigierende Serviceroboter, die Kundinnen und Kunden im Markt zu gesuchten Artikeln führen. Diese Technologien können Bestände optimieren, Lieferzeiten verkürzen und personalisierte Angebote ermöglichen – was sich perspektivisch in stabileren Preisen und besserer Warenverfügbarkeit niederschlagen kann. Der Haken: Die hohen Anfangsinvestitionen lasten schwer auf den Bilanzen, gerade mittelgroße Händler geraten dadurch finanziell in die Enge und verschwinden eher vom Markt.
Europäischer Vergleich und steuerliche Regeln zu Billigimporten
Während die Branche hierzulande stark belastet ist, zeigt der Blick nach Europa gemischte Signale. In Frankreich ging die Zahl der Handelspleiten zuletzt um zwei Prozent zurück, in Großbritannien um zehn Prozent und in den Niederlanden sogar um 23 Prozent, berichtet deutschlandfunk.de unter Berufung auf Allianz Trade. Norwegen und Dänemark verzeichnen ebenfalls teilweise deutliche Rückgänge. Für Konsumenten in Deutschland könnte die Lage durch steigende Reallöhne und bessere Kreditaussichten etwas entspannter werden. Dazu kommt die geplante Verschärfung der Steuerregeln für günstige Warensendungen aus dem Ausland: Billigimporte über asiatische Plattformen dürften dadurch tendenziell teurer werden. Dejean warnt jedoch: „Die geplante Steuerregelung hilft den hiesigen Einzelhändlern, ist aber auch kein Allheilmittel“ – Preis- und Angebotsdruck für Verbraucherinnen und Verbraucher bleiben hoch.